AL 3637
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Es war zwanzig Minuten nach Sechs Uhr am Abend. Außerirdische Überwachungseinheit Nummer 3637 wollte gerade den letzten Monitor für immer abschalten, der ihnen Livebilder von den Menschen übertrug, und zu seinen Kollegen nach draußen gehen, die dort bereits laut hörbar das verlängerte Wochenende eingeläutet hatten. Besser gesagt, die totale Arbeitslosigkeit. Zumindest für Jene, die nicht für ein anderes Projekt in der Firma behalten wurden. Das Projekt "Die Menschen beobachten und sie eventuell fragen, ob sie unsere Freunde werden wollen" wurde mit Wirkung zum heutigen Tage endgültig eingestellt. Entscheidung der Chef-Etage. Die Erfolgschancen seien angeblich aussichtslos und das Risiko wurde als zu hoch eingestuft, bei einem offenen Zusammentreffen mit den Menschen von ihnen schon wegen eines kleinen Missverständnisses erdrosselt oder erschossen zu werden. Man entschied sich dazu, stattdessen lieber in eine andere Galaxie umzusiedeln, die sich möglichst weit weg von den Menschen befand. An dem (ehemaligen) Projekt, dessen Ziel es (bis heute) gewesen war, Freundschaft mit den Menschen zu schließen, hatten mehrere hundert AI's (Außerirdische) gearbeitet, die nun, wegen der Beendigung des Projekts, alle ihren Job verloren. So wie Überwachungs-AI 3637, der in diesem Moment seinen letzten Arbeitstag beenden wollte. Doch als er gerade den Aus-Schalter des Monitors drücken wollte, sah er es. Besser gesagt hörte es. Die Gedanken einer Menschen-Frau. Die Frau lag in ihrem Bett und dachte über ein Buch nach, dass sie schreiben wollte. Sie tat das mit ungewöhnlich viel Hingabe und Liebe, so dass AL 3637 kurz innehielt und ihren Gedanken lauschte. Plötzlich flog die Tür auf. Einer seiner Kollegen kam herein und sagte angeheitert: "He 3637, wo bleibst du? Wir warten alle auf dich!" "Ich komme!", sagte 3637 und schaltete den Monitor ab. Sein Kollege runzelte die Stirn. "Was machst du denn noch hier? Seit 18 Uhr wird niemand mehr von uns bezahlt! Es ist vorbei. Wir müssen die Erde aufgeben, 3637. Die Menschen sind böse und verrückt. Es hat keinen Sinn ihr Bündnis zu suchen. Sei froh, dass der Boss den Planeten sich selbst überlässt und nicht - obwohl was könnte noch schlimmer sein, als das, was die Menschen da unten sich selbst gegenseitig und dem Planeten antun? Egal, das ist ab heute nicht mehr unser Problem."
Die Mitarbeiter des Überwachungsteam E13 fuhren noch zusammen in ein Lokal,
und feierten das Ende ihrer langjährigen Zusammenarbeit. Keiner von ihnen,
außer 3637, schien zu glauben, dass man sich trotz allem noch mit den Menschen
anfreunden könnte. Am Tisch lachte man gerade über die Vorstellung von einem
dicken Menschenkind, dass vor dem Fernseher sitzt und Fastfood in sich
reinstopft. Alle lachten. Außer 3637. "Die Menschen tun nur gut daran, sich
gegenseitig selbst umzubringen!", sagte einer am Tisch. "Bevor die sich noch
im ganzen Weltall ausbreiten." - "Wenn ihr so denkt, dann seid ihr auch nicht
besser!", sagte 3637 plötzlich ohne nachzudenken. Ihn nervte es, wie sie die
Menschen ständig alle über einen Kamm scherten. "Ich habe heute eine Frau
gesehen, die durchaus das Potential hat, die Erde zu retten. Ich habe ihre
Gedanken gehört. Da war nichts boshaftes oder hinterhältiges. Und sie hat das
selbst reflektiert und will ihre Freundlichkeit in einem wirklich genialen
Kinderbuch an ihre Mitmenschen weitergeben. Und wenn ihr mich fragt, ich
glaube das könnte sogar funktionieren! Ihr hättet sie sehen sollen!" - "Du
spinnst!", sagte einer in der Gruppe. "Wie viele Künstler, Musiker und
Schriftsteller hat es bereits gegeben? Und keiner von ihnen hat geschafft,
wovon du da redest. Wie viele Helden braucht die Erde eigentlich? Weck mich
auf, wenn es genug sind. Dann helfe ich vielleicht sogar." Er lachte. "Also du
bist auf jedenfall schonmal keiner von ihnen!", sagte 3637 verärgert. "Wo ist
eigentlich 2472? Dachte sie kommt wenigstens heute zur Abschlussparty." -
"5555 will sie morgen früh offiziell als vermisst melden, wenn sie bis dahin
noch immer nicht aufgetaucht ist. Ich hätte das an seiner Stelle ja schon
längst getan. Keine Ahnung, warum er so lange wartet. Wahrscheinlich wegen
seinem Bild in der Öffentlichkeit. Er weiß, dass er sowieso schon zu lange
damit gewartet hat, über die Sache zu sprechen. Er hat Angst, dass es ein
schlechtes Licht auf seine Arbeit als Teamleiter wirft. Will sich bestimmt
noch überlegen, wie er das alles erklären soll." - "Dann warte ich wohl lieber
noch ein bisschen, bevor ich mit ihm spreche und ihm von der Schriftstellerin
erzähle und ihn bitte, der Menschheit noch eine Chance zu geben." - "Oh man,
darf ich bitte mitkommen und mir das ansehen?", sagte einer in der Gruppe.
"Wird bestimmt lustig. Ich meine das kannst du nicht allen ernstes vorhaben.
Manchmal bist du wirklich komisch. Du brauchst Mal etwas weibliche
Gesellschaf, 3637! Wie wäre es mit der grün-roten Dame an der Bar, die gerade
bestellt? Wenn du willst, mache ich euch miteinander bekannt!" - "Kennst du
sie denn überhaupt?", fragte sein kumpel. "Ich kenne jede Frau.", sagte der
Andere wiederum übermütig und stand auf. "Gib mir eine Minute, 3637. Ich mach
sie für dich klar!" Der, der das gesagt hatte stand auf und ging zu der
Alien-Dame hinüber. "Ich befürchte, die kannst du vergessen, 3637!", sagte der
Kumpel und verkniff sich ein Grinsen. "Der kommt bestimmt nicht mehr zurück."
3637 gähnte theatralisch und stand auf. "Ich glaub ich pack's.", sagte er.
"Bin müde und es ist schon spät ich meine früh, ihr wisst, was ich meine." Er
verabschiedete sich von seinen Kollegen und es wurden wie zum hundertsten Mal
an diesem Abend große Abschiedsworte gesprochen, langatmige Reden geschwungen,
Sympathie-Geständnisse gemacht und Umarmungen vollführt. Dann, nach weiteren
20 Minuten verließ 3637 endlich das Lokal. Doch er hatte nicht vor, nach Hause
zu fahren und Schlafen zu gehen.
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